Die Straßen der Stadt sind ihr Kloster

30. November 2007 Neuigkeiten

Ihr 200-jahriges Bestehen feiern in diesem Jahr die Clemensschwestern. Am 1. November 1808 gründet der damals 35-jährige münstersche Kapitularvikar Clemens August Freiherr Droste zu Vischering zusammen mit fünf Frauen die Gemeinschaft. Eine kirchlich anerkannte Kongregation wird sie erst 50 Jahre später und der Anfang war schwer.


Die Straßen der Stadt sind ihr Kloster

Es ist eine Zeit politischer und auch kirchlicher Umbrüche: Der französische Kaiser Napoleon überzieht Europa mit Kriegen, die hunderttausende Opfer fordern. Die Franzosen besetzen viele Länder; die deutschen Fürsten entmachten die geistlichen Landesherren und reißen ihre Besitztümer an sich, Ordensgemeinschaften stehen vor dem Nichts – die so genannte Säkularisation.

Es ist aber auch die Zeit der Dichter Goethe und Schiller und der Aufklärung eines Immanuel Kant. In Münster bildet sich ein aufgeklärter Kreis katholischer Intellektueller um die Fürstin Gallitzin. Diesem Kreis gehört auch Clemens August Freiherr Droste zu Vischering an, der später zunächst Weihbischof in Münster und dann Erzbischof von Köln wird.

Hilfe für Kranke und Notleidende

Droste zu Vischering erkennt die wachsende Not, weil sich in Folge der Säkularisation Klöster auflösen und Ordensgemeinschaften zurückziehen. Fasziniert vom Leben des heiligen Armenseelsorgers Vinzenz von Paul (1581-1660) will er sich der Not der Menschen widmen. Er lernt die 41-jährige Maria Alberti kennen, eine Malerin aus Hamburg auf Durchreise nach Paris, wo sie Kranke pflegen will. Mit ihr und vier weiteren jungen Frauen gründet der Domherr eine Gemeinschaft, die sich um kranke Menschen in Münster kümmert.

Schon bald brechen Ruhr- und Typhusepidemien in der Westfalenmetropole aus – die Frauen und auch der Gründer helfen, wo sie können und suchen die Kranken dort auf, wo sie leben. Schnell finden sich Förderer: So finanzieren etwa Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg und seine Frau mit großzügigen Stiftungen das Leben der fünf Krankenpflegerinnen. In Anlehnung an den heiligen Vinzenz von Paul gibt Droste zu Vischering der kleinen Gemeinschaft eine Ordnung als “Barmherzige Schwestern”.

Die etwas anderen Nonnen

Maria Alberti wird die erste Oberin der Gemeinschaft. Clemens August informiert die Öffentlichkeit über das neue “Institut der Krankenwärterinnen”, wie es zunächst heißt. Er verdeutlicht, dass die Frauen keine Nonnen im üblichen Verständnis seien: “Die Straßen der Stadt sind ihr Kloster – Gehorsam und Gottesfurcht ihre Clausur – Bescheidenheit und Sittsamkeit ihr Schleier.”

Doch dem euphorischen Beginn folgen schnell schwere Zeiten: Noch im ersten Jahr des Bestehens stirbt die erste Schwester; zwei weitere Frauen treten aus. Am 1. Februar 1812 stirbt Maria Alberti an Typhus, da sie sich in der Pflege der Kranken angesteckt hatte. Den verbleibenden zwei Schwestern gesellt sich 1818 Wilhelmine von Höfflinger hinzu. Sie kommt aus dem aufgelösten adeligen Damenstift in Nottuln. Bereits 1820 wird sie zur Vorsteherin bestimmt.

Wie sie der Volksmund nennt

Im gleichen Jahr bietet man den Frauen die Krankenpflege im Clemenshospital an, da die Barmherzigen Brüder 1818 in Folge der Säkularisation Münster verlassen haben. Am 1. Mai 1820 übernehmen die Schwestern die Krankenpflege – sie haben damit eine lokale und soziale Basis gefunden, um sowohl eine intensive Krankenpflege als auch den Ausbau der Gemeinschaft zu betreiben. Dies findet 1833 sogar die Anerkennung des preußisch-protestantischen Königs Friedrich Wilhelm III.: Mustergültig sei das Haus geführt, schreibt er dem Stifter Droste zu Vischering und unterstützt es finanziell. Die Zahl der Mitglieder wächst genauso wie die Anerkennung.

Der gute Ruf der fortan im Volksmund Clemensschwestern genannten Krankenpflegerinnen verbreitet sich nicht nur innerhalb der Stadt Münster. 1840 übernehmen die Barmherzigen Schwestern ihr erstes Krankenhaus außerhalb des Bistums Münster in Arnsberg. Es folgen weitere Häuser in Lembeck, Kleve, Geldern und Warendorf.

Kirchliche Anerkennung

Bei der 50-Jahr-Feier am 1. November 1858 verkündet Bischof Johann Georg Müller im Stiftungsfest-Gottesdienst feierlich, dass Papst Pius IX. der Gemeinschaft den Status einer kirchlichen Kongregation bewilligt habe. Damit sind sie auch ein kirchlich anerkannter “richtiger” Orden. Ihr offizieller Titel: “Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern von der Allerseligsten Jungfrau und Schmerzhaften Mutter Maria”.

 

200 Schwestern in 43 Niederlassungen sind es damals bereits – und ihre Zahl wird größer. Ihre Dienste werden geschätzt – so sehr, dass sie auch an den Fronten der Kriege im 19. Jahrhundert die Verwundeten pflegen müssen. So sind etwa 1870/71 im deutsch-französischen Krieg 124 Clemensschwestern im Einsatz. – Trotz der Auszeichnung mit Orden schützt sie dies nicht vor Repressalien in Folge des von Reichskanzler Bismarck angezettelten Kulturkampfes gegen die katholische Kirche.

Vorkämpfer für Frauenrechte

Die Gemeinschaft entwickelt sich weiter: 1377 Schwestern feiern 1908 das hundertjährige Bestehen. Der Kulturkampf ist zu Ende und die Clemensschwestern erweisen sich in dieser Zeit als Vorkämpfer für die Rechte der Frau: Die Ordensfrauen eröffnen eine Krankenpflegeschule, sodass dort eine staatlich anerkannte Ausbildung gemacht werden kann.

Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs gehen 28 Schwestern in französische Gefangenschaft. Dort setzen sie unter französischen Ärzten ihre Krankenpflege fort, was ihnen Respekt und Anerkennung einbringt. Viele Clemensschwestern sind kriegsbedingt im Einsatz: Mit preußischer Gründlichkeit dokumentiert die deutsche Regierung, dass die Ordensfrauen in den Lazaretten 60.589 Patienten an 3.027.893 Pflegetagen behandelt hatten.

Eine Clemensschwester und ein Löwe

Im Jahr der Machtergreifung Hitlers zählt die Genossenschaft fast 2.700 Schwestern in 123 Niederlassungen. Die Zeit der NS-Diktatur führte zu Konflikten der Ideologie der Nazis und dem christlichen Menschen- und Weltbild des Ordens. Unterstützungszahlungen werden gestrichen, der Orden wegen angeblicher Devisenvergehen verdächtigt, Einrichtungen geschlossen.

Eine Clemensschwester ist es, die im Sommer 1941 Bischof Clemens August Graf von Galen nachts und heimlich über bevorstehende Abtransporte von Menschen mit Behinderung im Zuge der Euthanasie-Maßnahmen der Nazis informiert. Sie hatte in der vom Orden geleiteten Einrichtung Marienthal davon erfahren. Am 6. Juli 1941 bringt der Bischof in der münsterschen Lambertikirche dies in die Öffentlichkeit und klagt die Nazis des Mordes an. Trotzdem werden 79 Behinderte abtransportiert. Galen, der erneut von der Ordensfrau informiert ist, protestiert wiederum öffentlich; ihm schließen sich weitere Bischöfe an; die Predigten des “Löwen von Münster” werden als Flugblätter von den Engländern abgeworfen.

Tod der kompletten Ordensleitung

Die Schwestern selber leiden unter dem Krieg: Am 10. Oktober 1943 kommen bei einem Bombenangriff auf Münster 50 Schwestern ums Leben – darunter die komplette Ordensleitung, die sich zu einer Tagung im Mutterhaus befindet. Trotz zahlreicher Opfer – insgesamt 106 Tote – hat die Gemeinschaft nach dem Krieg mehr Mitglieder als zu Beginn: 2.455 Ordenfrauen.

1955 stirbt in Münster im Alter von 41 Jahren Schwester Maria Euthymia – die bekannteste Clemensschwester. Ihrer Fürsprache vertrauen zeit ihres Lebens viele Menschen und schon direkt nach ihrem Tod wird sie um Fürbitte bei Gott angerufen. Ihr Grab auf dem münsterschen Zentralfriedhof wird zum Wallfahrtsort. Ihr Leben in Heiligkeit zeichnet die Kirche am 7. Oktober 2001 durch die Seligsprechung aus.

Das Konzil und die Folgen

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) führt zu Veränderungen im Leben der Schwestern und zu einer neuen Ordensregel. 1973 gehen Schwestern nach Ruanda. Zehn Jahre später feiern 1330 Clemensschwestern das 175-jährige Bestehen. 1999 errichtet der Orden die “Maria-Alberti-Stiftung”, um ein Fortdauern der von den Clemensschwestern geschaffenen Einrichtungen zu sichern.

Die Schwesterngemeinschaft, die mit der Krankenpflege begann und vor allem in diesem Bereich fast 200 Jahre war, ist noch heute im sozialen Bereich tätig, aber darüber hinaus sind Aufgaben in der Seelsorge und in der Mission hinzugekommen.

Barmherzigkeit verändert

Die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 200-jährigen Bestehen des Ordens stehen unter dem Leitwort “Barmherzigkeit verändert”. Damit wollen die Schwestern an ihre Ursprünge erinnern, aber auch Interessierte dazu einladen, sich mit dem Grundmotiv ihres Handelns auseinander zu setzen. Höhepunkt der Feiern sind am Allerheiligentag 2008 ein feierlicher Gottesdienst und ein Festakt in Münster.

Text: Norbert Göckener, 30.11.2007


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