Blühendes Brachland

3. September 2016 Portraits

Sr. Irmhild baute mit einer Mitschwester eine Hospizarbeit in einer Pfarrgemeinde in der Diaspora auf.


Es war Brachland – in vielerlei Hinsicht. Als Sr. Irmhild und Sr. Irmtrudis 1993 in den kleinen Ort Lemförde nördlich von Osnabrück aufbrachen, um in der Gemeinde „Zu den heiligen Engeln“ ein Hospiz zu eröffnen, betraten sie einen unbestellten Acker. In der Diaspora: „90 Prozent der Menschen hier sind protestantisch oder gehören keiner Kirche an.“ In der Gemeinde: „Die Pfarrstelle sollte nicht mehr neu besetzt werden – Pfarrer und Gemeindemitglieder überlegten, wie sie Kirche hier im Ort künftig präsent halten konnten.“ Und nicht zuletzt auch für sich selbst: „Ein echtes Wagnis! Wir kamen aus sicheren Verträgen in der Krankenhausseelsorge oder der Familien- und Jugendarbeit und hatten die große Frage, ob wir eine Hospizarbeit überhaupt stemmen konnten.“

Mitten im Leben

Der damalige Pfarrer wollte das Pfarrhaus auch nach der Streichung der Pfarrstelle mit Leben füllen. Mit Leben! Wie kam es zur Idee, dafür die Sterbenden ins Pfarrhaus zu holen? Mit den Gemeindemitgliedern habe er ganz genau geschaut, wo die Bedürfnisse lagen. Und die lagen ganz deutlich bei den alten Menschen mit der Sorge, wer sich um sie kümmert, vor allem im Sterben. So ging die Anfrage an die Clemensschwestern, ob sie nicht nur die administrative Arbeit des Pfarrbüros übernehmen, sondern auch ein ambulantes Hospiz mit einer stationären Hospizwohnung im Pfarrhaus eröffnen könnten.

Sr. Irmhild fand schnell einen emotionalen Zugang zu dem Thema: „Die Situation des anonymen Sterbens war mir aus meiner Familie und dem Orden ganz fremd.“ Immer seien enge Verwandte und Mitschwestern an der Seite der Sterbenden gewesen. „Ich hatte das Gefühl, dass das wieder zur Normalität werden musste.“ Zwei Jahre intensiver Einarbeitung in das Thema mit vielen Fortbildungen folgten. „Wir wollten selbst spüren, was die Hospizbewegung will.“

Mit großem Rückhalt und Engagement

Sr. Irmhild und Sr. Maria, die inzwischen Sr. Irmtrudis abgelöst hat, mit den Hospizhelferinnen und -helfern. Bei allen Startschwierigkeiten – gerade in der Pfarrgemeinde hätten sie einen großen Rückhalt erfahren. „Vielleicht lag es an der Diaspora-Situation: eng zusammengerückt, mit großem Engagement und lebendigen Ideen.“ Zentrales Ziel sei dabei gewesen, das Sterben der Menschen in das Gemeindeleben zu integrieren, sagt Sr. Irmhild. „Dort, wo sonst das ganze Leben Platz haben darf, sollte auch der Tod seinen Raum bekommen.“

An ein „Aha-Erlebnis“ können sich beide Schwestern erinnern: das erste Seminar für die Ausbildung ehrenamtlicher Hospizhelfer – 80 Stunden mit zum Teil intensiver Auseinandersetzung mit den persönlichen Ängsten. „17 Menschen kamen – und alle ließen sich begeistern.“ Ein Zuspruch, der auch in der Folgezeit nicht abriss, so dass die Gruppe der Helfer stetig wuchs.

Besonders deutlich wurde diese Unterstützung bei der Einrichtung der Stationären Hospizwohnung im Jahr 1994. Eine große Nähe von Gemeinde- und Hospizalltag konnte entstehen. Viele Begegnungen und Gespräche hätten sich daraus ergeben. Die Ausstrahlung sei deutlich gewesen: „Kirche ist nicht nur Liturgie, sondern auch Diakonie.“ Als die Wohnung im Jahr 2004 aus bürokratischen Gründen geschlossen werden musste, sei das für alle schmerzlich gewesen.

Die Schwestern sind sich bewusst, dass es ihnen nur mit der Unterstützung der vielen Menschen in der Gemeinde gelungen ist, die schwierigen Wege der Hospizarbeit zu gehen. Denn es braucht immer wieder neu Menschen mit viel Rückhalt, die angstfrei in die Extremsituation des Sterbens gehen. Sie müssen sich einlassen auf die einzigartigen Gefühle des Gegenübers und seiner Angehörigen. Wut, Trauer und Ohnmacht müssen sie mitleben. „Da, wo der Sterbende ist, soll er zur Ruhe kommen, denn jeder sucht dann Frieden – mit sich, der Situation und mit Gott.“

Der Sterbende ist wichtiger

Die Schwestern wissen, was für eine Hoffnung im Glauben steckt, können aber nicht sicher sein, dass diese bei den Menschen, die sie begleiten, angenommen wird. „Das macht schon ein wenig traurig“. Aber sie nehmen sich zurück. Wenn ein Sterbender sagt, er habe mit Kirche gar nichts zu tun, besuchen sie ihn auch mal ohne Ordensgewand. „Der Sterbende ist wichtiger als die Kirche – da stehen wir nicht mit Kreuz, Bibel und Rosenkranz in der Tür.“

Der Hospizdienst ist mittlerweile in der Bevölkerung sehr gefragt. Auf dem Brachland ist etwas gewachsen. Der Weg direkt auf die Menschen zu, die sich in einer Krise befinden, ist von Beginn an zentrales Anliegen des Ordens der beiden Clemensschwestern. „Und Sterben ist die größte Lebenskrise, die der Mensch kennt.“

aus: Barmherzigkeit verändert; Blühendes Brachland; Michael Bönte


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