Offen sein für andere Menschen
2. August 2016 Portraits
Wer glaubt, dass Sr. Lucias Leben ein langer, ruhiger Fluss ist, der irrt sich. Aber gerade in schwierigen Zeiten ist sie an den Herausforderungen gewachsen.
Sr. Lucia sieht schwierige Zeiten als Herausforderung und Chance
„Man wächst gegenseitig, wenn man offen ist für Beziehungen.“
1956 in Osnabrück geboren, tritt sie 1979 mit 22 Jahren in den Orden ein. Da war sie schon Krankenschwester und somit bei den Clemensschwestern, die sich vor allem der Krankenpflege und den daran angrenzenden Aufgaben widmen, genau richtig. Nach diversen Stationen in den verschiedenen Niederlassungen des Ordens ist sie seit 1991 in Münster. Zuerst in Kinderhaus, wo sie in einer kleinen Gemeinschaft mit vier Schwestern „mitten im sozialen Brennpunkt“ gewirkt hat.
Doch der Brennpunkt war nicht nur außen, sondern teilweise auch innerhalb ihrer kleinen Gemeinschaft. „Wir waren sehr verschieden, wollten aber trotzdem gemeinsam und nicht nur nebeneinander herleben, da gibt es schon mal Reibung“, erinnert sie sich an diese Zeit. Aber Sr. Lucia wäre nicht Sr. Lucia, wenn sie vor den Reibungen kapituliert hätte. Sie hat sie als Chance gesehen. „Man wächst gegenseitig, wenn man offen ist für Beziehungen.“ Eine Einstellung, die ihr in ihrem heutigen Beruf sehr hilft. Denn aus der Krankenschwester ist eine Pastoralreferentin geworden.
„Man wird mehr beschenkt, als man selbst geben kann“
Im Fernstudium hat sie dafür an der Uni Würzburg Theologie studiert und sich anschließend auf die Krankenhausseelsorge spezialisiert. Sr. Lucia, die keine Ordenstracht, sondern normale Alltagskleidung und ein schlichtes Kreuz trägt, gehört seit November 2015 zum Seelsorgeteam im Clemenshospital in Münster. Hier muss sie als Seelsorgerin jeden Tag offen sein für neue Beziehungen. „Ich gehe ja mit leeren Händen zu den Patienten.“ Sie kann keine Medikamente oder Operationen zur Heilung, nur sich selbst und ihre Lebensbasis anbieten, die Beziehung zu Jesus Christus. Die Gespräche, die sie hier mit den Patienten führt, empfindet sie als sehr bereichernd. „Man wird mehr beschenkt, als man selbst geben kann“, hat sie im Laufe der Jahre festgestellt.
Die persönliche Begegnung mit den Menschen ist auch das, was Sr. Lucia antreibt. Sie ist kein Mensch, der sich hinter Klostermauern versteckt. Dass das für sie nicht funktioniert, hat sie selbst in einer für sie „sehr schwierigen, aber wertvollen Zeit“ bei den Klarissen festgestellt. Die kleine kontemplative Gemeinschaft im Schatten des münsterischen Domes hat sich dem Leben nach innen verschrieben. Zwei Jahre hat Sr. Lucia, die sich selbst als „eher extrovertiert“ bezeichnet, dort in der Gemeinschaft gelebt und dann entschieden, ein Theologiestudium zu beginnen.
„Wenn man bewusst durchs Leben geht, wächst man fast von selbst.“
Über einen Bereich ihres Lebens, der immer erstaunte Blicke auslöst, spricht sie gar nicht mehr so gern: das Laufen. Sr. Lucia ist regelmäßig auf der Promenade, am Aasee und in den Rieselfeldern unterwegs. Dabei setzt sie nicht auf den schnellen Sprint, sondern zeigt Ausdauer. Schon mehrmals hat sie sich das Finisher-T-Shirt des Münster-Marathons übergezogen.
„Laufen ist für mich Aktiv-Meditation, da kommen Gedanken hoch. Man kann sich noch mal hinterfragen, ob man alles richtig gemacht hat.“ Denn eins ist klar: Sr. Lucia ist ein sehr reflektierter Mensch, stellt sich, ihr Verhalten und ihre Arbeit immer wieder auf den Prüfstand. „Aber das ist ja auch eine Chance zur Weiterentwicklung“, meint sie. „Wenn alles rund läuft, macht man sich ja keinen Kopf. Erst wenn man ins Schwimmen gerät, fängt man an nachzudenken.“ Eigentlich, sagt sie, sei das mit dem Wachsen ganz einfach: „Wenn man bewusst durchs Leben geht, wächst man fast von selbst.“
aus: Westfälische Nachrichten / Panorama vom 25. März 2016; Artikel von Stefanie Meier, mit freundlicher Genehmigung der Zeitungsgruppe Münsterland/Westfälische Nachrichten und Partner.