„Schwester Contacta“

16. Juli 2016 Portraits

Unerwartet zeigt die Raphaelsklinik ein ganz persönliches, herzliches Gesicht : Lächelnd nimmt Sr. Sigrid neue Patienten in Empfang.


Ein kleines Stück Lebensweg

Eine freundliche Begrüßung, eine kurze Information für die Anmeldung im Verwaltungsbüro und im Anschluss daran der gemeinsame Weg auf die Station. „Es sind nur kleine Gesten“, sagt sie selbst. Wenn sie etwa den Koffer des Patienten auf ihren Kofferkuli lädt und gemeinsam den Aufzug zu den Stationen betritt. „Kleine Zuwendungen, die sich jedes Mal wiederholen – mehr nicht.“

Und doch kommt bei den Patienten mehr an – das ist vielen von ihnen anzusehen, wenn die Schwester auf sie zukommt. Hilflose Hände bekommen Halt, orientierungslose Schritte erhalten ein Ziel, suchende Augen verwandeln sich in ein Lächeln. „Es steckt viel drin in diesem gemeinsamen Weg“, sagt Sr. Sigrid. Auch wenn er oft nur sehr kurz ist, schon nach wenigen Minuten beendet. „Ich gehe diesen Weg mit ihnen und trage dabei nicht nur den Koffer, sondern auch ein Stück Last auf ihrem Herzen.“ Denn für die meisten Patienten ist der Weg auf die Station ein schwerer, ungewisser. „Eine gute Zeit“, wünscht sie noch, dann ist der Kontakt schon wieder beendet.

Eine kurze Begegnung, aber mit hoher Intensität. Das weiß auch der Mann, der seine Frau zum wiederholten Mal in die Klinik bringt: „Ich freue mich immer, meine „Schwester Contacta“ zu sehen“, sagt er im Aufzug. „Wenn ich so empfangen werde, beginnt die Woche bei allen Sorgen doch schön.“ Schwester Sigrid gehöre zu den wenigen „schönen Krankenhaus-Erinnerungen“, die er immer wieder mitnehme.

Davon spricht auch die Frau, die ihren Vater zur Untersuchung begleitet. „Die Schwester ist wie ein Fix-Punkt in einer fremden, beängstigenden Situation.“ Ohne diesen festen Bezugspunkt wäre es ihnen schwer gefallen, sich durch die Unübersichtlichkeit der vielen Gänge hindurch zu kämpfen. „Wir haben unseren Kopf anderswo, da hilft es schon, wenn uns jemand sagt, um welche Ecke wir jetzt biegen müssen.“

Ein Krankenhaus ist ein Ort der Sorge. Sr. Sigrid kennt das aus ihren vielen Jahren als Krankenschwester an unterschiedlichen Orten. Das Gefühl für die Nöte von Patienten und Angehörigen ist bei ihr besonders ausgeprägt. „Du brauchst nicht nur sehende Augen, sondern auch ein hörendes Herz“, sagt sie. „Man spürt, womit die Menschen sich beschäftigen und mit welchen Ängsten sie kommen.“

„Ich bete für Sie“

Als Ordensfrau habe sie dabei eine besondere Ausstrahlung, weil sie etwas Beständiges und Vertrautes symbolisiere. „Das Zutrauen zu uns Schwestern ist oft groß – es ist sofort ein Vertrauensverhältnis da.“ Bei jedem, auch bei dem, der nicht im Glauben lebe, setze das viel in Gang. Die Frage nach dem Existenziellen des Lebens werde plötzlich möglich. „Und jeder Patient kann sich auf seine Situation besser einlassen.“ Auch weil sie das Gefühl hat, sensible Impulse setzen zu können. Etwa dann, wenn sie dem ängstlichen Gegenüber voll Hoffnung ein „Ich bete für Sie“ mit auf den Weg geben könne.

Nicht selten spürt sie den Wunsch nach mehr Zeit für den einzelnen Patienten. „Da bleibt vieles unausgesprochen, wird lediglich angestoßen.“ Viele spontane, authentische und zutiefst menschliche Impulse gebe es in diesen Begegnungen. „Sie öffnen sich manchmal, wie ich es sonst nicht erlebe.“ Was auch eine Belastung sein könne, das gibt sie zu. „Ich komme auch mal mitgenommen aus dem Dienst.“ Als ausgebildete Krankenschwester kennt sie die medizinischen Hintergründe zu den Geschichten der Menschen. Prognosen, Hoffnungen, Rückschläge und Enttäuschungen kann sie nachvollziehen.

Wenn sie nach ihrem vormittäglichen Dienst ins Kloster zurückkehre, bringe sie im Herzen nicht selten „Stoff für stille Gebete“ mit. „Allein darin finde ich neue Kraft: Das Leid loslassen und es in die Hände Gottes geben.“ Kraft für neue Begegnungen am kommenden Tag. Es werden wieder kleine Gesten sein, mit denen sie die Wege der Patienten begleitet. Kleine Momente, die etwas bewegen – auf beiden Seiten. „Die Größe ist nicht ausschlaggebend“, sagt Sr. Sigrid. „Sondern die Intensität der Aussstrahlung.“

aus: Barmherzigkeit verändert; Ein kleines Stück Lebensweg; Michael Bönte


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