Warum ich Clemenschwester bleibe

3. September 2016 Portraits

Die Gemeinschaft ist für mich ein Ort des Heilens, des Heiles geworden. Hier darf ich sein und wachsen mit meinen Möglichkeiten, meinen Verletzungen und Fähigkeiten.


Sr. Susanne Kamperdick, geboren 1969, trat 1993 bei den Clemensschwestern in Münster ein. Seit Oktober 2013 ist sie Noviziatsleiterin, Oberin im Ausbildungskonvent, Organistin im Mutterhaus und leitet den Arbeitskreis der Gemeinschaft für Berufungspastoral. Zehn Stunden pro Woche arbeitet sie im Krankenhaus in der Physiotherapie.

„Warum gehe ich meinen Weg im Orden weiter?”

„Herr, segne mit der Kraft Deines Segens diese Professringe.
Sie seien Zeichen der Treue zu Jesus Christus und zu dieser Gemeinschaft.
Erinnere die Schwestern, die sie tragen werden,
täglich an das Kreuz Deines Sohnes, von dem alle Liebe ausgeht,
und an die Macht Deiner Auferstehung.
Festige sie im Glauben und bestärke sie in der Hoffnung.
Erneuere immer wieder ihre Liebe im Heiligen Geist.
Amen.“
(Feier der Ewigen Profess, Pfingstsonntag 2003)

Seit 23 Jahren gehöre ich zu der Gemeinschaft der Clemensschwestern. Lange hatte ich Schwierigkeiten mit unserem offiziellen Namen „Barmherzige Schwestern von der allerseligsten Jungfrau und schmerzhaften Mutter Maria“. Bis einmal auf einem Besinnungstag dieser Name so erklärt wurde: Marias ganzes Leben steckt darin! Ihre Geburt, die Verkündigung und die Geburt ihres Sohnes, sein Tod und seine Auferstehung, Pfingsten, ihr eigener Tod und Aufnahme in den Himmel. Es steckt viel Freude in diesem Namen und tiefer Schmerz. Maria hat all das kennengelernt und durchlebt, und in allem kann sie mir Schwester, Mutter sein. In allem, was mir begegnet und was in der Welt heute geschieht.

Mein Weg in die Gemeinschaft

Ich komme aus einem Dorf am Niederrhein. Unsere Schwestern, die zu fünft ein kleines Altenheim führten, kannte ich von klein auf. Eine Schwester war Gemeindeschwester, also in der ambulanten Pflege tätig, eine andere Leiterin des Kindergartens. Sie gehörten zur Gemeinde, waren in der Kirche präsent und Anlaufstelle für mancherlei Nöte. „Unsere Schwestern“ eben!

Mit 13 Jahren las ich Bücher, in denen Ordensschwestern vorkamen – und ich wusste, dass auch ich so leben wollte. Zielgerichtet begann ich mit Gebetszeiten, in denen ich den Rosenkranz betete oder aus Gebetbüchern, die ich im Haus fand. Gemeinsam mit einer Freundin (die heute ebenfalls Clemensschwester ist) nahm ich Kontakt zu unseren Schwestern auf. Wir gingen jede Woche dorthin, um mit den Heimbewohnerinnen Mensch-ärgere-dich-nicht und Rommé zu spielen. Ich fragte die Oberin nach Büchern über die Gemeinschaft und schrieb große Teile daraus ab. Diese Oberin wurde meine erste geistliche Begleiterin, ohne dass sie sich selbst je so gesehen hätte. Bei ihr und den andern Schwestern fühlte ich mich angenommen. Ich durfte so sein, wie ich war, konnte meine Fragen stellen und mein Leben mit-teilen. Diese Erfahrungen haben mich und meinen weiteren Weg geprägt.

Im Laufe der Jahre weitete sich der Kontakt aus. Als eine Schwester aus unserer Gemeinde in einen anderen Konvent versetzt wurde, besuchten meine Freundin und ich sie dort und lernten so weitere Schwestern kennen. Ab 1987 nahmen wir jedes Jahr an der Kar- und Osterliturgie im Mutterhaus in Münster teil. Ich liebte besonders die Anbetung am Gründonnerstag. Die Zeit bis 24 Uhr verging wie im Flug. Wenn ich im Mutterhaus war, besonders in der sogenannten Exerzitienkirche, fühlte ich mich zu Hause – angekommen! Es fiel mir immer schwer, am Ostersonntag wieder zu meiner Familie zurückzukehren.

In der Ausbildung zur Krankengymnastin, die ich in der Eifel absolvierte, erlebte ich zum ersten Mal, die Einzige aus dem Kurs zu sein, die sonntags zur Kirche ging. Ich kam ca. alle zwei Wochen nach Hause und pflegte weiter meine Kontakte zu den Clemensschwestern. Es gab eine Phase, in der ich glaubte, dass es doch nicht der richtige Weg für mich sei, Ordensschwester zu werden. Eine Freundin hatte Kontakt zur Fokolarbewegung und ich begleitete sie zu einem großen Treffen in Köln. Doch ohne die Perspektive, Clemensschwester zu werden, fühlte ich mich wie entwurzelt – es ging mir erst besser, als ich meine innere Ausrichtung auf den Eintritt wieder aufgenommen hatte.

Nach meiner Ausbildung zur Krankengymnastin machte ich mein Anerkennungsjahr in einem Krankenhaus, das zu der Zeit der Gemeinschaft gehörte. Dort nahm ich fast jeden Abend an der Vesper teil und die Laudes betete ich morgens für mich allein. So wurde ich bereits mit dem Stundengebet vertraut. Danach ging ich für ein Jahr nach Süddeutschland in eine Praxis für Physiotherapie, um aus größerer Distanz meine Entscheidung, Clemensschwester zu werden, zu überprüfen. Eine zukünftige Mitschwester, zu der ich Kontakt hatte, erklärte mir Grundzüge der Meditation, nämlich den Namen Jesus mit dem Atem zu verbinden. Seitdem meditierte ich fast täglich 20 Minuten. Ich hatte sehr nette KollegInnen und manche Kontakte von damals, z. B. aus dem Kirchenchor, halten bis heute.

Eintritt und die ersten Jahre im Kloster

Endlich: 1993, mit 24 Jahren, konnte ich eintreten!! Meine Freundin brauchte wegen ihres Arbeitsplatzes noch Zeit (sie kam vier Monate später), aber ich wollte nach elf Jahren Warten und Sehnen den Eintritt nicht weiter hinausschieben. Ich glaubte mich am Ziel meiner Wünsche – und stellte bald fest, dass ich mich auf einen lebenslangen Prozess eingelassen hatte und der Weg erst richtig losging!

Zum Zeitpunkt meines Eintritts waren eine Schwester im Noviziat und sechs Schwestern im Juniorat. Von diesen sieben haben fünf die Gemeinschaft verlassen. Und meine Freundin und ich sind geblieben. Erstaunlich?! Vielleicht! Oder?

Einschneidend war für mich das erste Generalkapitel, in das ich als Junioratsschwester gewählt wurde. In diesem Kapitel wurde ich „erwachsen“: Mein Idealbild von unserer Gemeinschaft wurde heftig erschüttert. Es gab Konflikte, die unter der Oberfläche schwelten und nicht greifbar wurden. Ich litt unter der Spannung, dennoch war mir klar: Ich gehöre zu dieser Gemeinschaft, so wie sie ist. Nicht nur ich habe meine hellen und dunklen Seiten, sondern die Gemeinschaft im Ganzen ebenso! Am Ende des Kapitels renkte sich vieles wieder ein, doch meine „rosarote Brille“ war verschwunden…

„Ich gehe meinen Weg vor Gott im Lande der Lebenden.“ (Ps. 116,9)

Dies ist mein Professwort. Ich habe es kennengelernt im interkongregationalen Noviziat, das 1995 in Stapelfeld bei Oldenburg stattfand. Wir waren zu 15 Ordensleuten im Postulat oder Noviziat aus zehn Gemeinschaften, zwei Männer und 13 Frauen. Gemeinsam verbrachten wir acht Wochen, in denen wir uns in etwa unter Gleichaltrigen befanden und uns aneinander reiben konnten. Es entstand ein tiefer Zusammenhalt in dieser Zeit, trotz oder wahrscheinlich wegen all der Krisen, die wir miteinander erlebten. Von diesen 15 sind fünf weiterhin in ihrer Gemeinschaft. Immerhin…!

„Ich gehe meinen Weg vor Gott im Lande der Lebenden.“ (Ps. 116,9)

Ich bin Gott wichtig, „teuer und kostbar in seinen Augen“, wie es in Jesaja 43 heißt. Ich gehe meinen Weg – so, wie er ist, mit Kurven, Schluchten, Steigungen, Sackgassen, lieblichen Tälern, weiten Ebenen, Wüsten, Oasen… Aber ich gehe diesen Weg nicht allein: Ich gehe vor Gott und mit Gott und zu Gott. Er hat mich geschaffen, und mein Weg hat ein Ziel: Gott. Er gibt mir Menschen, die mitgehen. Wir sind einander Geschenk und Herausforderung – wir alle leben „vor Gott im Land der Lebenden“.

„Ich gehe meinen Weg vor Gott im Lande der Lebenden.“ (Ps. 116,9)

Bereits im 2. Noviziatsjahr zeigte sich eine tiefe Lebenswunde. Ich bekam therapeutische Begleitung, aber vor allem wusste ich mich immer getragen von meiner Gemeinschaft. Immer gab es Schwestern, bei denen ich mein Herz ausschütten und mir Halt holen konnte. Immer gab es Schwestern, die mich herausforderten und meine Fähigkeiten einforderten. So hatte ich die besten Bedingungen, mich auf den Weg der Heilung einzulassen, um zu wachsen.
Vor der Ewigen Profess machte ich 30-tägige Exerzitien, in denen ich die Erfahrung machen durfte, dass Jesus Christus in meinem Herzen spricht. Er führte mich durch meine tiefste Wunde hindurch zur Hingabe an ihn.

Neue Herausforderungen

Nach der ersten Profess habe ich zehn Jahre in Münster im Ausbildungskonvent gelebt (erst als Junioratsschwester, dann noch vier Jahre nach meiner ewigen Profess) und als Physiotherapeutin gearbeitet. Es folgten sieben Jahre in einem Krankenhaus, welches unserer Stiftung gehört. Ich wurde zur Vertreterin der Oberin im Konvent gewählt und bekam zur gleichen Zeit die stellvertretende Leitung in der Physiotherapie. In diesen Jahren konnte ich meine ersten Erfahrungen in einer Leitungsposition sammeln.
Eine gute Ergänzung zum Konventsleben waren die Arbeit im Krankenhaus und das Singen im Kirchenchor. Beides machte mir viel Freude. Durch den Chor nahm ich regen Anteil am Gemeindeleben und lernte viele Menschen kennen.

2010 fuhr ich zum ersten Mal zur AGBO (Arbeitsgemeinschaft Berufungspastoral der Orden) in Hünfeld. Einerseits fühlte ich mich dort als Physiotherapeutin völlig fehl am Platze, andererseits hatte ich den Eindruck, am Puls des Ordenslebens zu sein und ich ahnte, dass diese zwei Tage mein Leben verändern würden!
2011 wurde in unserer Gemeinschaft ein Arbeitskreis für Berufungspastoral und geistliche Bildung gegründet. Ich übernahm die Leitung, was ich mir früher nie zugetraut hätte.
2013 begann ich mit der Ausbildung „für Verantwortliche in der Ordens- und Priesterausbildung“ bei der RUACH, die anderthalb Jahre dauerte, und ich wurde von Meschede wieder nach Münster versetzt, um die Formationsleitung zu übernehmen. Die Teilnahme an der AGBO hatte also wirklich mein Leben verändert!
Wir begannen mit vier Professschwestern als Ausbildungskonvent in einem Haus direkt neben dem Mutterhaus. Im Mai 2014 kam eine Postulantin, die mittlerweile Novizin ist.

Eine Krise

Meine größte innere Auseinandersetzung in Bezug auf Bleiben oder Austreten hatte ich einige Jahre nach der Ewigen Profess. Ich fragte mich, ob das Leben in einer überalterten Gemeinschaft tatsächlich mein Weg ist, ob ich nicht „draußen“ lebendiger und flexibler sein könnte.
Es gibt eine Geschichte von einem Mönchsvater, der den Wunsch nach Frau und Kindern spürte. Um diesen Wunsch zu prüfen, machte er sich aus Ton eine Frau und einige Kinder und sagte sich: „So, nun muss ich hart arbeiten, um sie alle zu ernähren!“ Er probierte es einige Zeit aus und merkte, dass es ihm zu anstrengend war. Und so blieb er Mönch!
Ich habe diese Geschichte als Anregung genommen, um mir möglichst konkret auszumalen, wie das sein könnte, wenn ich nicht mehr Clemensschwester wäre. Eigene Wohnung, eigenes Auto, ein riesiges Bücherregal im Wohnzimmer, größere Reisen, öfter mal ausschlafen…??
Doch ich sah auch, dass ich als Clemensschwester in einem großen Zusammenhang lebe: im Konvent, in meiner Gemeinschaft, im Netz der Orden Deutschlands. Hier kann ich überall meine Fähigkeiten einbringen, Kontakte pflegen, viele Fragen besprechen und ich habe Freude daran. Außerhalb der Gemeinschaft könnte ich vielleicht in einer Pfarrgemeinde mitarbeiten, aber mehr wahrscheinlich nicht. Und der Gedanke, auf Dauer allein zu leben, gefiel mir auch nicht – vor allem, ohne meine Mitschwestern zu leben!
Mir wurde neu bewusst, dass ich mich geborgen weiß in der Gemeinschaft der lebenden und der verstorbenen Clemensschwestern. Ich danke an dieser Stelle vielen von ihnen von Herzen für ihr Mitgehen und ihr Gebet! Vor allem durfte ich in dieser Situation tiefer erfahren, dass Jesus Christus mich liebt und dass von ihm her in der Gemeinschaft der Clemensschwestern mein Platz ist. So konnte ich mich entscheiden zu bleiben.

Warum bleibe ich Clemensschwester?

Die Gemeinschaft ist für mich ein Ort des Heilens, des Heiles geworden. Mit meinen Möglichkeiten und mit meinen Verletzungen darf ich da sein, wachsen, meine Fähigkeiten kennenlernen und einbringen.
In unseren „Weisungen“ (so heißen unsere Konstitutionen) heißt es zu Beginn. „Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. (Joh 14,6). Er allein ist unsere letzte Norm. Sein Leben und Wort sind das Grundgesetz der Barmherzigen Schwestern.“
Jesus Christus hat die Liebe gelebt – eine Liebe, die ihn durch Kreuz und Tod zur Auferstehung führte. Ich darf seine barmherzige Liebe erleben und weitergeben, in ihr leben und versuchen, mit meinem Leben auf sie zu antworten. Dafür ist mein Professring ein Symbol. Gemeinsam mit meinen Mitschwestern darf ich in der Nachfolge Jesu Christi leben, damit unsere Gemeinschaft, so klein und überaltert sie auch ist, für andere Menschen ein Ort des Heilens und des Heiles sein kann.

Einmal stolperte ich über den Satz: „Er, der uns berufen hat, hält unablässig Fürsprache für unsere schwache Gemeinschaft.“ Mir sagt das: Jesus ist im Boot – wir brauchen ihn nicht erst dazu zu holen! Der Weg zeigt sich, wenn wir gemeinsam suchen, Wege ausprobieren, verwerfen, neue Wege gehen – denn: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.

In dieser Hoffnung gehe ich weiter meinen Weg als Clemensschwester vor Gott im Land der Lebenden!

Sr. Susanne Kamperdick


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